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Titel:

Gewalt 3
 

Künstler:
Martin Schwarze

Öl auf Leinwand

160 x 125 cm​

2021

website: 
https://www.schwarzegalerie.de

Audioguide M. Schwarze
00:00 / 02:43

Der Künstler über sich

Martin Schwarze (geboren 1987 in Berlin) studierte Malerei/Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. 2016 schloss er das Diplomstudium in der Klasse von Heribert C. Ottersbach ab. Seine Arbeit konzentriert sich auf die Wechselwirkung zwischen Kunst und gesellschaftspolitischen Themen.

Der Künstler über das Werk

In dieser zwölfteiligen Serie spiegeln sich Beobachtungen wider, die Martin Schwarze in seiner täglichen Arbeit als Lehrer gemacht hat. Was bringen Kinder und Jugendliche an Gewalterfahrungen aus ihrer Familie mit, was aus ihrem bisherigen Lebensweg? Die Arbeiten sollen subtil unterschiedliche Nuancen von Gewalt zeigen, beginnend mit bösen Blicken und verbalen Übergriffen, Ausgrenzung und Gruppenbildung, bis hin zur Bedrohung und zu körperlichen Angriffen. Daneben steht die große Gruppe der Mitläufer:innen, die abseitsstehen, der Gewalt aber nicht entgegentreten und keine Position beziehen. Und wessen Position sollen sie auch einnehmen? Es ist doch oft unklar, wer Opfer ist und wer Täter:in. Meist führt erst gezielte Provokation zu Aggression, Sprachlosigkeit und Eskalation. Fraglich bleibt, wer am Ende für die ausgeübte Gewalt Verantwortung übernimmt.

 

 

LOT1 über das Werk

 

Wir haben Martin Schwarze an einem verregneten Morgen in seinem Atelier besucht. Klatschnass angekommen gab es erst einmal Tee. Die Dreizimmerwohnung mit Toilette im Treppenhaus befindet sich im Hinterhaus eines Moabiter Altbaus unweit des S-Bahnrings. Drinnen ist es dank Holzkohleofen muckelig warm, 90er-Jahre-Boxen spielen leise Musik und Martin Schwarze erzählt uns, dass er das Angebot sich hier einzurichten bekommen hat, weil die Wohnung nach einem Brand Jahre lang leer stand. Spuren davon sind noch immer sichtbar.  Er hat sogar eine Zeit lang hier gelebt, sagt er heiter, und wir stellen uns das einen Moment lang vor und spüren sofort die Romantik. Das Atelier ist voll von Werken. Unter den Decken befinden sich roh gezimmerte Zwischenböden auf denen Leinwände und verschiedenste Utensilien lagern. Das Atelier fügt sich in seiner wohnlichen Gemütlichkeit prima ein in den Charme der Umgebung, wo Industriebauten auf Altberliner Piefigkeit treffen, weitläufige Gleisanlagen und die irrsten Sonnenauf- und -untergänge einander kreuzen.

 

Das Thema heute aber ist Gewalt, ganz im Gegensatz zu unserem Morgengroove also. Wie es zu der Serie kam, erzählt sich wie die Handlung eines Spielfilms über den Berliner Brennpunkt. Ein junger Mann kehrt nach dem abgeschlossenen Malereistudium aus Leipzig zurück, sucht, um seine Kunst machen zu können, nach einem Job und wird über den Hinweis einer Freundin fündig. Er wird Lehrer. Nicht aber für Kunst, was er eigentlich will, sondern Musik. Er hat doch mal in einer Band gespielt. Die Arbeit erfüllt ihn – mit guter Laune spricht er von ihr. Gewalt ist Alltag an der Schule, diesem uns allen bekannten und teils noch in den Knochen steckenden Kosmos.

 

Gewalt 3 (das Ihr auf den Plakaten sehen könnt) hängt bei einem Freund des Künstlers. Martin Schwarze lehnt den Rest der Bilderserie vor uns an die Wand und während er über sie spricht, lässt er eins nach dem anderen hinüber an den Arbeitstisch wandern. Auf dem steht sein Computer mit zwei Bildschirmen, auf welchem er die Farbkontraste, die die Gewaltserie auszeichnen, unkompliziert erproben konnte. Ebenso brisant wie die nebeneinander befindlichen Farbwerte, sind die Handlungen der Kinder. Was damit auf den Prüfstand gerät, ist die mit der Kindheit verbundene Unschuld. Kinder führen eben nicht nur die Gewalthandlungen aus, sondern das in ihnen liegende Potenzial findet sich semantisch im Farbspektrum aufgegriffen. Die Akzente sind grell, leuchten brillant, wirken beinahe aggressiv.  
Mal sind die Gesten scharf vor diese stark wirksam gemachten Bildgründe gesetzt und werden darüber an uns herangetragen, mal treten sie in Kommunikation mit der Figur selbst, und prägen so die Blickerfahrung aus. Dargestellt werden ganz unterschiedliche Formen der Gewalt, Auto- und Mikroaggression, um nur zwei zu nennen, und machen so Themen wie Vorurteile, Rassismus oder Mobbing, somit Opfer-, Täter- oder Mittäterschaft zum Denkgegenstand. „Tatbestände“ sind nicht klar auseinanderzuhalten von Alltagshandlung und werden damit zum Stellvertreter einer eben nicht mehr nur kindlichen, spielerischen, sondern in der vorgetragenen Ernsthaftigkeit einer menschlichen Wirklichkeitsbewältigung qua Gewalt. In der Bildwirklichkeit zeigen sich diese Themen als Close-Ups. Was Gewalt ist, überträgt sich bildlich ebenso unmittelbar wie hintergründig, vielgesichtig wie vielschichtig.  Wann, wo, wie, warum beginnt Gewalt, wann, wo, wie, warum endet sie?

 

Ebenso wie die Handlungen sind auch die dargestellten Kinder Stellvertreter:innen. Martin Schwarze hat sie aus Fotos entnommen, die aus seinem Schulalltag stammen, dabei aber ihre Erscheinung mal mehr mal weniger stark abgewandelt. Farbwerte wie die von Kleidungsstücken oder die von Haut oder Haaren, all das also, was unsere Wahrnehmung so stark beeinflusst, dienen als Grundlage eines künstlerischen Vorgehens, das sich zwischen zwischen Präzisierung und Verunklärung bewegt. Das durch Herkunft, Hautfarbe, Kleidungsmarken und Physiognomie bestimmte äußere Erscheinungsbild kann darüber jenseits überkommener Zuschreibungen in Dialoge eintreten, womit die Serie uns auf zeitgemäße Weise zum Nachdenken über das Thema anzuleiten vermag.

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